Unterstützen, aber nicht eingreifen! – Die Pikler Pädagogik

Emmi-Pikler-Dreieck
© Yan Krukov / Pexels

Die Kinderärztin Emmi Pikler (1902-1984) entwickelte eine liebevolle, von Achtsamkeit geprägte Kleinkindpädagogik, die für ihre Zeit revolutionär war. Heute dienen ihre Ansätze vielen Pädagogen als Basis im täglichen Umgang mit Kindern. Doch wofür steht die Pikler-Pädagogik und wie können Eltern und Nicht-Pädagogen sie umsetzen?

Emmi Pikler stammte aus Wien und verbrachte lange Zeit ihres Lebens in Budapest, wo sie zwischen 1946 und 1979 das Säuglingsheim Lóczy leitete. Ihre Pädagogik richtet sich an Kinder zwischen der Geburt und drei Jahren.

Das pädagogische Konzept setzt also schon im Bereich der frühkindlichen Entwicklung an. – Mit gutem Grund: Bereits im Alter von wenigen Wochen und Monaten ist eine intensive Kommunikation zwischen einem Baby und seinen Eltern (oder anderen Bezugspersonen) möglich.

Emmi Pikler vertrat die Ansicht, dass bereits die Säuglingspflege wichtiger Bestandteil der Beziehung sei. Mehr darüber erfährst du später, wenn wir auf die Kommunikation im Familienalltag eingehen. Zunächst aber lerne das Grundkonzept der Pikler-Pädagogik kennen.

Eigenständig die Welt entdecken

Nach Emmi Pikler hat jedes Kind eine eigene Persönlichkeit und ein eigenes Entwicklungs- und Lerntempo. Kinder machen ihren nächsten Entwicklungsschritt genau dann, wenn sie bereit dafür sind und sich sicher mit dem bereits Erlernten fühlen.

„Unterstützen, aber nicht eingreifen…“

Wenn ein Kind ein liebevolles Umfeld hat, entwickelt es all seine motorischen Fähigkeiten und auch sein Selbstbewusstsein ganz von alleine. Nach Pikler kann sich die Persönlichkeit eines Kindes am besten mit viel Freiraum entfalten, wenn es sich selbstständig ausprobieren und ausleben darf. Somit lautet der Grundsatz der Pikler-Pädagogik, dass ein Kind in seiner Entwicklung unterstützt werden sollte, Erwachsene in diese aber nicht eingreifen sollten.

Dieser pädagogische Ansatz bietet Säuglingen und Kleinkindern somit die Möglichkeit, ihren natürlichen Spiel- und Entdeckertrieb auszuleben und sich in ihrem individuellen Tempo selbstständig zu entwickeln. Ein Kind lernt die Welt und sich selbst dadurch auf ganz natürliche Weise kennen.

Die Aufgabe der Bezugspersonen besteht darin, dem Kind Liebe und Interesse entgegenzubringen. Auf diese Weise entwickelt es ein gesundes Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit. Die frühkindliche Erziehung nach Emmi Pikler bildet eine stabile Basis für die spätere Entwicklung gesunder sozialer Kompetenzen.


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Die 3 Hauptaspekte der Pikler-Pädagogik

Die Pikler-Pädagogik setzt sich aus 3 Hauptaspekten zusammen:

  1. Die beziehungsvolle Pflege
    Die behutsame Pflege des Säuglings bietet die Gelegenheit, dem Kind Vertrauen und Geborgenheit zu vermitteln. Die körperliche Pflege sollte auf Zutrauen in dessen Fähigkeiten und interessierter Anteilnahme basieren. Auf diese Weise kann das Kind eine gesunde Basis für seine sozialen Kompetenzen entwickeln. Dabei entsteht emotionale Sicherheit, die eine Grundlage für die Eigeninitiative und selbstständige Aktivität des Kindes bildet. Das Kind wird auf eigenen Wunsch in die Pflege einbezogen und kann sich selbst daran beteiligen. Verbale und körpersprachliche Kommunikation, sowie liebevoller Körperkontakt spielen hierbei eine besonders wichtige Rolle.
  2. Die autonome Bewegungsentwicklung
    Nach Emmi Pikler besitzt jedes gesunde Kleinkind die Fähigkeit zur eigenständigen motorischen Entwicklung. Dazu braucht es Freiraum und die Erlaubnis, sich selbstständig zu bewegen. Zudem braucht das Kind Erwachsene, die an seinen Erkundungen und Entdeckungen interessiert Anteil nehmen. Erwachsene sollten in die Bewegungsentwicklung jedoch nicht lenkend oder beschleunigend eingreifen.
  3. Das freie Spiel
    Säuglinge und Kleinkinder sollten von frühestem Alter an die Möglichkeit haben, sich selbst für eine Beschäftigung zu entscheiden und kreativ auszuleben. Dazu brauchen sie neben geeigneten Materialien Zeit und Ruhe. Das Spiel sollte frei und ungestört in einer altersgemäß ausgestatteten, geschützten Umgebung ablaufen. Bestimmten Spielmaterialien spielen
Emmi-Pikler-Pädagogik
© Yan Krukov / Pexels

Kindgerechte Spielmaterialien nach Pikler

Nach Emmi Pikler benötigen Kinder eine anregende und altersgerecht vorbereitete Spielumgebung, um sich selbstständig weiterzuentwickeln. Spezielles Pikler Spielzeug unterstützt das freie Spiel und bietet den Kindern Anreize, ihre motorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Dazu zählen vor allem das bekannte Pikler Dreieck* oder der Pikler Kletterbogen* (auch Bogenleiter genannt), sowie Krabbeltunnel, Rutschbrett und Bogenwippe.

Durch zusätzliche Spielmaterialien wie Tücher, Bälle oder Bauklötze erhalten Kinder die Möglichkeit, ihre eigenen Spielideen zu entwickeln. Das Spielmaterial sollte freies Experimentieren erlauben und nicht auf eine feste Funktion ausgelegt sein.

Tipp: Manche Kletterbögen (wie auch der oben verlinkte) lassen sich durch einfaches Umdrehen als Bogenwippe nutzen. Somit erfüllt ein Hilfsmittel zweierlei Motorikziele.

Sofern den Kindern in ihrer eigenständigen Entwicklung ausreichend Freiraum zur Verfügung steht, sind auch Anregungen und Hilfestellungen der Eltern und Erzieher wünschenswert. Diese sollten das freie Spiel jedoch nicht stören oder lenken.

Das Pikler-Konzept im Kita-Alltag

Nach der Pikler-Pädagogik haben Erzieher und Erzieherinnen die Aufgabe, den Kindern Geborgenheit zu vermitteln und die Umgebung so zu gestalten, dass diese selbstständig aktiv werden können. Dabei spielen die Unterstützung der Selbstständigkeit und der Respekt vor der Eigeninitiative eine wesentliche Rolle. Zudem ist es wichtig, dass jedes Kind eine persönliche und stabile Beziehung zu wenigen vertrauten Bezugspersonen hat.

Für den Kita-Alltag bedeutet dies, dass die Erzieher und Erzieherinnen in einer liebevollen, persönlichen Beziehung zu den Kindern stehen. Den Kindern wird eine altersgerechte Spielumgebung zur Verfügung gestellt, in der sie sich nach freiem Willen ausleben und entwickeln können. Die Aufsichtspersonen nehmen die Rolle des Beobachters ein und können den Kindern Anregungen und Hilfestellungen geben, wenn sie dies für angemessen halten.

Pikler- und Montessoripädagogik im Vergleich

Die pädagogischen Konzepte von Emmi Pikler und Maria Montessori basieren beide auf einer eigenständigen Entwicklung des Kindes und einem liebevollen Umgang mit diesem.

Kinder werden in ihrer Individualität und Selbstständigkeit gefördert und haben Freiraum, sich in ihrem natürlichen Tempo zu entwickeln. Sie können selbst wählen, mit welchen Spielmaterialien sie sich beschäftigen wollen. Wenn sie es wünschen, haben sie die Möglichkeit, Aufsichtspersonen um Hilfestellung oder Unterstützung zu bitten.

Während die Pikler-Pädagogik sich jedoch speziell an Kleinkinder zwischen 0 und 3 Jahren richtet, umfasst das Montessori-Konzept ebenso die Erziehung im späteren Kindes- und sogar Jugendalter. In der Praxis orientieren sich viele Eltern-Kind-Kurse im Baby- und Kleinkindalter an der Pikler-Pädagogik. Das Montessori-Konzept wiederum findet seine Umsetzung an speziellen Kindertages- oder Bildungseinrichtungen, wie den Montessori-Kindergärten und den Montessori-Schulen. Aber auch Eltern können Elemente beider Konzepte in die Erziehung ihrer Kinder integrieren.

Mehr darüber liest du im Artikel 19 Ideen der Pädagogik von Maria Montessori, die uns alle umdenken lassen (einerschreitimmer.com).

Liebevolle Kommunikation im Familienalltag

Auch du kannst die Pikler-Pädagogik in den Familienalltag mit deinem Baby oder Kleinkind einbauen! Das ist sogar einfacher, als du vielleicht denkst. Es bieten sich dafür täglich unzählige Gelegenheiten.

Bei seinen alltäglichen Routinen, wie Baden, Ankleiden, Füttern und Wickeln, sammelt dein Baby einen Großteil seiner sozialen Erfahrungen. Auch wenn dir diese Routinen zunächst “gewöhnlich” erscheinen: Der respekt- und liebevolle Umgang mit deinem Baby während dieser üblichen Aktivitäten ist von großer Bedeutung für seine Entwicklung.

Lege deshalb besondere Aufmerksamkeit auf die Interaktion mit dem Kind. Nimm dir Zeit und kommuniziere bewusst mit ihm – sowohl verbal, wie auch körpersprachlich. Eine liebevolle Kommunikation vermittelt deinem Kind Geborgenheit und gibt ihm den so wichtigen Rückhalt beim eigenständigen Entdecken seiner Umwelt.

Emmi-Pikler
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