Medienerziehung – Verständnis statt Verbote

Kinder-Medienerziehung

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, bevor es Handys gab? Oder das frei zugängliche Internet für alle? Da musste man telefonieren, um sich zu verabreden und im Lexikon nachschlagen, um etwas zu recherchieren. Viele von uns können sich heute ein Leben ohne die Annehmlichkeiten der Digitalisierung kaum noch vorstellen. Mir jedenfalls würde es ziemlich schwerfallen.

Digitale Medien machen unser Leben komfortabler und vernetzter. Gerade Internet und Smartphone sind in vielen Situationen des Alltags kaum noch wegzudenken. Mit Leichtigkeit finden wir heute im Internet jedes Produkt, jeden Ort, jede Information und manch einer sogar den Lebenspartner. Wir bestellen Pizza per Mausklick, steuern unsere Haustechnik per App, streamen unsere Lieblingsserie zu jeder Tageszeit und interagieren mit unseren Freunden von überall auf der Welt.

Man könnte noch vieles aufzählen. Doch während der digitale Fortschritt mit künstlicher Intelligenz (A.I.), dem Internet der Dinge (I.O.T.) und Big Data weiterhin Einzug in die verschiedensten Bereiche unseres Alltags hält und an Schulen mit Tablets unterrichtet wird, machen wir uns Gedanken, wie wir unsere Kinder vor der “dunklen Seite” des digitalen und medialen Fortschritts schützen können.

Abenteuer erleben – heute

Vorab zunächst ein kleiner Exkurs. Vor kurzem hatte ich hier über das Thema “Digitale Erziehung im Alltag” berichtet. Das war im Rahmen meiner Berichterstattung zum blogfamiliär Digitalkompass in Stuttgart. Thematisiert wurden insbesondere Suchtpotenzial und aggressives Verhalten bei Kindern, im Zusammenhang mit TV-Konsum oder Computerspielen. In diesem Kontext stellte Katja Seide, Bestsellerautorin, Sonderpädagogin und Bloggerin, folgende These in den Raum: “In unserer heutigen Zeit erleben Kinder keine Abenteuer mehr!

Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, erinnere ich mich an viele Aktivitäten draußen im Freien. Heute, in unserem zunehmend urbanisiertem Leben, ist das nur noch begrenzt möglich. Als Eltern wollen wir unsere Kinder natürlich auch vor möglichen Gefahren schützen. Das Erleben von „Abenteuern“ weicht damit nicht selten einem digitalen Ersatz, z.B. in Form von TV oder Computerspielen. Doch hier lauern andere Risiken, mit denen wir uns verantwortungsbewusst auseinandersetzen sollten. Medienerziehung, angefangen vom Kleinkind bis hin zum Jugendlichen, ist darum ein sehr wichtiges Thema.

Kinder-Mediennutzung

So leben wir Medienerziehung

Den einen goldenen Weg in der Medienerziehung gibt es meiner Meinung nach nicht. Als Mutter von drei Kindern habe ich das Gefühl, das richtige Maß immer wieder neu definieren zu müssen. Bevor ich mich mit Medienerziehung kritisch auseinander gesetzt habe, fühlte es sich manchmal wie eine Gratwanderung zwischen “schlecht” und “schlecht” an. Auf der einen Seite das schlechte Gewissen, die Kinder zu reglementieren. Andererseits das drohende Stigma der Rabeneltern, deren Nachwuchs zu blassen und dicken Fernsehkindern mutiert.

Dabei variieren übrigens auch die Empfehlungen für die altersgemäße Höchstdosis des täglichen Medienkonsums. Dem WHO zufolge liegt eine angemessene Nutzungszeit für Bildschirmmedien bei maximal einer Stunde am Tag für 2- bis 4-Jährige. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt höchstens 30 Minuten am Tag, bei einem Alter von 3 bis 6 Jahren.

Auch wenn es mir wichtig ist, über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen Bescheid zu wissen, so habe ich zwischenzeitlich gelernt, auf mein eigenes Bauchgefühl zu hören. Im Zeitalter von Attachment Parenting und bedürfnisorientierter Erziehung muss auch der Umgang mit Medien keinen starren Dogmen und Richtlinien unterworfen werden. Stattdessen sind Verantwortungsbewusstsein und kritischer Umgang gefragt. Empfehlungen helfen da aber zumindest ganz gut, um eine grobe Orientierung zu bekommen.

Kinder-und-digitale-Medien

1. Gesunde Dosis ohne Stoppuhr

Am Wochenende darf mein fast 5-jähriger Sohn regelmäßig seine 30-minütige Lieblingssendung im TV ansehen. Es ist ein gewohntes Ritual für ihn. Auch seine 3-jährige Schwester hat in einem unbekannten Land, vor gar nicht all zu langer Zeit schon ihre Lieblingszeichentrickbiene entdeckt. Die Episoden aus der Mediathek dauern jeweils 12 Minuten und sind somit wunderbar häppchenweise portionierbar. Meistens werden zwei oder drei davon in Folge geschaut. Darüber hinaus entscheiden wir situativ. Manchmal genehmigen wir uns auch eine Dokusendung auf KiKA. Die Stoppuhr wird dabei nicht gedrückt, auch wenn es dann eben mal 60 Minuten werden.

Größeren Wert, als auf exakte Minutenlimits, lege ich darauf, dass die Balance stimmt. In Relation zur Zeit vor dem Bildschirm sollen andere Aktivitäten, wie kreative Tätigkeiten (z.B. Malen, Puzzeln oder Lego bauen), Bewegung und Zeit im Freien nicht zu kurz kommen. Mit einem halbwegs ausgewogenen Freizeitprogramm klappt das eigentlich fast automatisch. Trotzdem praktiziere ich gelegentlich eine bewusst medienfreie Zeit, für meine Kids und auch für mich selbst. Sozusagen eine Art “Digital Detox”. Ich kann jedem von euch nur ans Herz legen, einfach mal für eine Zeit offline und analog zu sein und eure Umgebung real und ungefiltert wahrzunehmen. Ob nur für 2 Stunden oder für 2 Tage dürft ihr selbst entscheiden.

Apropos Zeitlimit: Meist verlieren meine Kinder nach einer gewissen Zeit ganz von selbst das Interesse und möchten wieder ihren anderen Aktivitäten nachgehen. Bei Teenagern sieht das natürlich wieder etwas anders aus. Da können festgelegte TV- und Online-Zeiten durchaus notwendig sein, damit Fortnite nicht die Nacht zum Tag werden lässt. Mein Fokus ist momentan eher, dass die Inhalte stimmen und altersgemäß sind. Bezogen auf Kleinkinder findet ihr hier einen guten Überblick dazu: Wann sind Kleinkinder groß genug für die Medienwelt? – SCHAU HIN!

Medienerziehung

2. Der Inhalt zählt

Statt sinnfreier Reizüberflutung durch kommerziell gehypte Cartoon-Helden, bevorzuge ich Sendungen, die Wissen und Werte vermitteln, oder zumindest nicht belastend wirken. In unserem Fall ist das ganz besonders wichtig, da die jüngeren Geschwister nicht einfach aus dem Raum verbannt werden können, während der 5-Jährige eine Sendung schaut.

Fühlen meine Kinder sich doch einmal verunsichert, wie es interessanterweise seltener bei zeitgemäßen Formaten, als bei klassischen Märchen der Fall ist, so ist es mir wichtig, dass wir direkt darüber sprechen können. Daher bin ich in der Nähe, wenn eine Sendung läuft oder wir schauen sie gemeinsam.

Apropos stimmige Inhalte: Hin und wieder passiert es, dass auch Papa und Mama von einer guten Kindersendung in den Bann gezogen werden. Zum Beispiel, wenn “Checker Can” oder “Checker Tobi” vom KiKA erklären, wie Recycling oder eine Windkraftanlage funktionieren. Ich persönlich konnte jedenfalls schon allerhand von Kindersendungen dazulernen. 😉

3. Selbstbestimmter Medienkonsum

Altersbedingt gibt es bei uns, was die Selbstbestimmung beim Medienkonsum betrifft, gewisse Einschränkungen. Die TV-Fernbedienung ist für meine Kinder außer Reichweite. Es wird vorab besprochen, wann ferngeschaut werden soll. Das Gleiche gilt auch für Kinder-Apps und das Tablet, das zuhause jedoch ohnehin selten zum Einsatz kommt. Es dient uns vorwiegend als Reise-Entertainment.

Selbstbestimmt können unsere Kinder dagegen Musik und Hörspiele auf ihrem hörbert (Markennennung!) anhören. Der kann individuell bespielt werden und auch die Lautstärke ist durch einen Maximalpegel limitiert. Außerdem lieben unsere Kinder das audiodigitale Lernsystem tiptoi® (Markennennung!) von Ravensburger, das sie ebenso zum selbstbestimmten Spielen nutzen dürfen.

Selbstbestimmung beim Medienkonsum ist für mich in jedem Fall auch eine Frage der Medienkompetenz. Mit zunehmender Reife und der Fähigkeit, Medien kritisch zu hinterfragen, darf auch mehr Raum für selbstbestimmten Medienkonsum sein.

Ein Blick nach vorn – und zurück

Noch sind meine Kinder zu jung für einen PC oder ein eigenes Smartphone. Doch die Zeit vergeht schnell und ich erinnere mich zurück an meine Schulzeit: Ungefähr 12 Jahre muss ich alt gewesen sein, da war es ein absolutes Muss, eine Levis Jeans zu tragen um nicht als uncooler Außenseiter dazustehen. Heutzutage besitzen 12-Jährige ein Smartphone und einen Whatsapp-Account.

Grundsätzlich will ich das nicht verteufeln, denn es gibt für 12-Jährige durchaus sinnvolle Nutzungsszenarien. Allerdings sollte der Nutzungsrahmen Schritt für Schritt wachsen, wie auch die Reife unserer Kinder im Umgang mit Smartphone, PC und sonstigen Medien. Die meisten Sorgen bereiten mir dabei die Sicherheit im Internet, Abofallen und Themen wie Cybermobbing bei der Nutzung sozialer Medien. Ich verfolge deshalb mit Interesse das Angebot von Kindersuchmaschinen und kinderfreundlichen Webportalen.

Mein persönlicher Tipp an Eltern von Schulkindern ist außerdem, sich intensiv mit den Möglichkeiten zur Kindersicherung (parental control) auseinanderzusetzen, die durch Routereinstellungen und entsprechende Apps gegeben sind. Auch die Online-Zeiten lassen sich bei vielen Routern sehr genau definieren, oft sogar geräteabhängig. Trotz aller Sicherheiten und Kontrollinstrumente sollte jedoch eine aktive und offene Auseinandersetzung mit dem Thema in den Familien stattfinden. Denn die Hauptaufgabe von Eltern und Pädagogen bleibt eine andere: Die Kinder schrittweise an Medien heranzuführen, sie mit Achtsamkeit bei der Nutzung zu begleiten und ihre Medienkompetenz zu stärken.

Verständnis statt Verbote

Medienkompetenz – so lautet also mein persönliches Ziel in der Medienerziehung. Dabei sollten Eltern vor allem auch selbstkritisch sein. Was die Medienerziehung meiner Kinder betrifft, möchte mir jedenfalls nicht in die eigene Tasche lügen. Als IT-Expertin und medienaffiner Mensch nutze ich digitale Medien nahezu täglich und mit einer hohen Selbstverständlichkeit.

Wenn wir Erwachsene vor unseren Kindern also regelmäßig das Smartphone zücken, im Internet surfen und ihnen den alltäglichen Konsum elektronischer Medien vorleben, so wäre es für mich nicht stimmig, unseren Kindern den Zugang zu derartigen Medien zu verwehren oder diesen überautoritär zu reglementieren. Schließlich wachsen gerade sie in eine Welt hinein, in der digitale Medien mehr denn je zur Normalität zählen.

Eine zeitgemäße Medienerziehung sollte auf Augenhöhe erfolgen. Sie soll Kindern auf den Weg helfen, selbst einen verantwortungsvollen, kritischen Umgang mit Medien zu erlernen und von Medien zu profitieren. Denn Medien sind nichts Schlechtes und (Medien-)verständnis ist langfristig ein stabileres Fundament als Verbote.

Schau-hin-Medienerziehung


Dieser Beitrag erhielt den 3. Platz bei der SCHAU HIN!-Blogparade “Vertrauen und Kontrolle in der Medienerziehung”. Die Initative “SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.” wurde im Jahr 2003 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den öffentlich-rechtlichen Sendern Das Erste und ZDF und der Programmzeitschrift TV SPIELFILM ins Leben gerufen, um Eltern und Erziehende mit alltagstauglichen Tipps und Empfehlungen zu unterstützen, ihre Kinder im Umgang mit Medien zu stärken. #medienmomente

Ein Kommentar zu “Medienerziehung – Verständnis statt Verbote”

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