Eine kolumbianische Erzieherin und der Kita-Alltag in Deutschland

Luisa Gutiérrez Arango
Von Kolumbien nach Hanau: Luisa Gutiérrez Arango (© TalentOrange)

Der Erziehermangel ist eines der großen Probleme in deutschen Kitas. In unserem Beitrag Fachkräftemangel in Kitas – Lösung in Sicht hatten wir zuletzt darüber berichtet. Inzwischen gehen manche Kitas und Kommunen neue, interkulturelle Wege. Wir blicken dazu hinter die Kulissen einer Kita in Hanau und erfahren, wie die kolumbianische Erzieherin Luisa Gutiérrez Arango ihren Arbeitsalltag dort erlebt.

Seit einem Jahr arbeitet die Erzieherin Luisa Gutiérrez Arango aus Kolumbien in einer Kita der Stadt Hanau. Schon während ihres Deutschkurses hat sie viel über die deutsche Kultur erfahren und in ihrem ersten Jahr in Deutschland viel dazu gelernt. Aber eine Sache ist ihr immer noch fremd: „Die Deutschen planen so langfristig! Neulich kam meine Kita-Leiterin auf mich zu und sagte mir, sie brauche nun meine Urlaubsplanung fürs nächste Jahr. Das war mir sehr peinlich, denn sie hatte mich schon mehrmals gefragt. Ich konnte aber den Zettel nicht abgeben, ich weiß einfach im Dezember noch nicht, wann ich im nächsten Jahr Urlaub nehmen möchte! Lateinamerikaner*innen entscheiden spontaner. Die deutsche Art zu planen, übe ich noch.“

Weil in Deutschland so viele Erzieher*innen fehlen – nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung fehlt Personal für rund 430.000 Kita-Plätze – gehen manche Kommunen und Kita-Träger inzwischen ungewöhnliche Wege: Sie gewinnen fertig ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland. Die Stadt Hanau bei Frankfurt zum Beispiel. Sie arbeitet mit dem Personaldienstleister und Bildungsanbieter TalentOrange zusammen. Das Unternehmen sucht gut ausgebildete und auswanderungswillige Erzieher*innen im Ausland. Es organisiert einen Sprachkurs bis zum Deutsch-Niveau B2, während dem die Erzieher*innen nicht arbeiten, um sich auf den Spracherwerb konzentrieren zu können. Zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten erhalten sie ein Stipendium. Während des Kurses erledigt das Unternehmen sämtliche Behördenangelegenheiten für die Einreise und die Berufsanerkennung der Fachkräfte. Es sucht einen Arbeitgeber, eine Wohnung und begleitet die Ankunft am neuen Ort.

Luisa Gutiérrez Arango – von Kolumbien nach Hanau

Luisa Gutiérrez Arango aus der kolumbianischen Stadt Medellín arbeitet seit November 2022 in der Kita Sandeldamm in Hanau. Die Kita hat ein modernes, helles, Gebäude und ein wunderschönes Außengelände mit alten Bäumen direkt an der Kinzig. Luisa ist dort sehr glücklich und hat ihr Anerkennungsjahr vor kurzem beendet. „Wir haben hier eine gute Atmosphäre. Meine Kolleg*innen und meine Kita-Leitung haben mich bei der Einarbeitung sehr gut unterstützt“, berichtet sie. „In dieser ersten Zeit gibt es so viele Fragen, so viele Gefühle und Gedanken – da ist es wichtig, dass man eine gute und warmherzige Beziehung zu den Kolleg*innen hat.“

Jetzt ist sie anerkannte Fachkraft. Ihr Arbeitgeber ist der „Eigenbetrieb Kita Hanau“, der mit der Gewinnung von ausländischen Fachkräften neue Wege geht – mit schönem Erfolg. Zusammen mit Luisa haben fünf weitere kolumbianische Erzieherinnen Ende 2022 ihren Dienst in Hanau angetreten. Zwei weitere folgten im November 2023, und die nächsten neuen Kolleginnen aus Lateinamerika bereiten gerade ihre Einreise nach Deutschland vor.

Luisa Gutiérrez Arango
Luisa bei der Arbeit (© TalentOrange)

Mit im Gepäck: ein Hochschulabschluss in Kindheitspädagogik

Luisa ist 32 Jahre alt. Von 2009 bis 2014 hat sie an der Universidad de Antioquia in ihrer Heimatstadt Medellín einen Abschluss in Kindheitspädagogik gemacht. Danach hat sie als Lehrerin für Erst- und Zweitklässler gearbeitet – erst drei Jahre an einer privaten Grundschule, dann drei Jahre an einer staatlichen Grundschule. „Das waren beides gute Jobs, trotzdem wollte ich noch mehr in meinem Leben erreichen.“ Luisa wollte gern ein anderes pädagogisches System kennenlernen, wollte sich persönlich und beruflich weiterentwickeln. „Medellín ist eine schöne Stadt, aber es gibt soziale Probleme, die die Lebensqualität beeinträchtigen. Ich wollte Sicherheit, Stabilität und neue Herausforderungen für mein persönliches und berufliches Leben “, sagt die junge Frau mit den langen braunen Haaren und der dunklen Brille.

Für die Arbeit in einer deutschen Kita hat sie sich entschieden, weil die Erziehung in den ersten Jahren so wichtig ist. „Hier bekommen die Kinder eine feste Basis für ihr Leben – für das Lernen, für Beziehungen, für alles. Deshalb wollte ich gerne die Entwicklung kleiner Kinder begleiten: emotional, kognitiv, motorisch und kreativ.“ Als größten Unterschied zwischen Lateinamerika und Deutschland sieht sie, dass die Kita in Lateinamerika einen Vorschul-Charakter hat. „In Deutschland ist Spielen und Entdecken wichtiger. Die Kinder entscheiden selbst, was sie tun wollen, und wir unterstützen sie dabei.“ In Medellín war sie allein für 30 Kinder zuständig – hier sind es nicht mal halb so viele, sodass sie besser auf jedes Kind eingehen kann.

„Ich liebe die Gespräche mit den Kindern“

Luisas Lieblingsorte in der Kita Sandeldamm sind die Lernwerkstatt und der Turnraum. In der Werkstatt bietet sie Bastelarbeiten an: „Wenn die Kinder Bügelperlen aufstecken, fangen sie an zu erzählen. Ich liebe diese Gespräche.“ Im Turnraum macht sie mit ihnen Bewegungsspiele oder tanzt mit ihnen zu Musik, die sie vorsingt oder aus der Box mit dem Handy abspielt. „Sie können schon spanische Lieder singen, das finde ich toll, und ich habe deutsche Lieder gelernt, die ich singen und tanzen kann.“

Gleichzeitig lernt Luisa jeden Tag ein bisschen besser Deutsch. Manchmal ist sie ungeduldig mit sich, weil es noch immer Gelegenheiten gibt, bei denen Missverständnisse entstehen – zum Beispiel, bei Themen, die sie noch nicht so gut kennt. In Alltagssituationen, zum Beispiel beim Arzt oder auf der Bank, kann das auch passieren. Einmal hat ein Mädchen, das in seiner Sprachentwicklung sehr weit war, gesagt, Luisa könne gar nicht richtig sprechen. „Eine andere Erzieherin hat dem Mädchen erklärt, dass ich aus einem anderen Land komme und perfekt Spanisch spreche, aber Deutsch gerade noch lerne. Das Mädchen war dann ganz lieb zu mir, hat sich entschuldigt und langsamer mit mir geredet.“

Für das Jahr 2024 hat Luisa große Pläne: Reisen, intensiv Rugby trainieren und ihren Motorrad-Führerschein für Deutschland umschreiben lassen. Seit sie in Hanau arbeitet, war sie schon in Amsterdam, in Prag, in Wien, in der Schweiz und in Italien. Im Jahr 2024 möchte sie nach Belgien, Griechenland oder Frankreich. Außerdem will sie ihr Deutsch weiter verbessern. Neben ihren Büchern und einem Sprachkurs helfen ihr dabei jeden Tag die Kinder und Kolleg*innen aus der Kita Sandeldamm.

Erzieher-Rekrutierung aus dem Ausland?

Könnten gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland unter Umständen dabei helfen, unser Personalproblem in Deutschen Kitas zu lösen? Die Antwort lautet: Ja, wenn es klare Rahmenbedingungen und überwindbare formelle Hürden gibt. Gerade letzteres dürfte für viele Einrichtungen eine große Hemmschwelle, wenn nicht gar ein K.O.-Kriterium sein. Zwischenzeitlich ist daraus jedoch ein neuer Markt für Personaldienstleister erwachsen, die in der Rekrutierung, Eingliederung und den Formalprozessen gezielt Unterstützung leisten. „Unserer Ansicht nach kann man den Fachkräftemangel nur durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen lösen: Ausbildung von Fachkräften im Inland, gute Arbeitsbedingungen und Rekrutierung aus dem Ausland.“ Diese Meinung vertritt Tilman Frank von TalentOrange.

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© Ksenia Chernaya / Pexels

2 Kommentare zu “Eine kolumbianische Erzieherin und der Kita-Alltag in Deutschland”

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