Wenn Eltern ein Lieblingskind haben…

Lieblingskind
© Allan Mas / Pexels – Wenn Eltern ein Lieblingskind haben…

Die meisten Eltern haben ein Lieblingskind. Offen aussprechen würden es die wenigsten. Es ist ein TABU. Zurecht? Warum empfinden Eltern nicht gleich für ihre Kinder? Und was macht es mit den “anderen”, wenn der Bruder oder die Schwester bevorzugt wird?

“Es ist schwierig, Kinder stets gleich zu behandeln.”

Lieblinge gibt es immer, das ist menschlich. Studien zufolge haben 65 bis 70 Prozent aller Eltern ein Lieblingskind. Selbst wenn Eltern mit dem festen Vorsatz leben, ihren Kindern die gleiche Liebe zu geben, werden sie merken, dass ihnen das zumindest phasenweise nicht immer gelingt.

Mit manchen Kindern fällt der Umgang tatsächlich leichter. Manchmal ist es unsere eigene, subjektive Wahrnehmung, die wir als “unerklärliche Chemie” umschreiben würden, die eine Verbindung intensiver erscheinen lässt. Dabei muss das Lieblingskind eines Elternteils nicht gleichermaßen das Lieblingskind des anderen sein. Doch wie wird ein Kind überhaupt zum Lieblingskind?

Wer wird zum Lieblingskind?

Ob eine Mutter den Sohn oder ein Vater die Tochter favorisiert, hängt nur in wenigen Fällen vom Geschlecht ab. Die zentrale Rolle spielen Ähnlichkeit und die individuelle Persönlichkeit.

Eltern projizieren häufig ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche auf ihre Kinder. Das geschieht in den meisten Fällen unbewusst, manchmal aber auch ganz bewusst. Das kennst du sicher: Jeder Mensch hat sein Selbstbild und umgibt sich mit den Menschen, die dazu passen. So legen die einen beispielsweise besonderen Wert auf Status und finanzielle Sicherheit. Andere wiederum sind eher intellektuell oder ideell orientiert. Materielles spielt für sie keine dominierende Rolle.

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© Allan Mas / Pexels – Wer wird zum Lieblingskind?

Gemeinsamkeit verbindet

Du kannst dich als Elternteil aus verschiedensten Gründen einem Kind näher fühlen, z.B. wenn du einfach einen “guten Draht” zu ihm hast.

Oft sind es auch Kleinigkeiten, die ein Kind zum Lieblingskind machen. Dein Sohn hat dieselben Grübchen wie dein geliebter Opi? Deine Tochter dafür die Eigenschaft, welche du an deinem Partner verabscheust? Dein Kind kann denselben Humor haben, wie du. Oder auch gar keinen. Selbstverständlich gibt es größere und kleinere Affinitäten.

Auch Gemeinsamkeiten verbinden. Spielt der Papa z.B. gerne Fußball und der Sohn teilt dieses Hobby, entsteht eine engere Bindung. Glücksgefühle kommen auf. Das Lieblingskind ist oft das Kind, das einem Elternteil am ähnlichsten ist.

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© Allan Mas / Pexels – Gemeinsamkeit verbindet

Einmal Liebling, immer Liebling?

Die Präferenz für ein Kind kann im Lauf der Zeit durchaus wechseln. Das bedeutetet, dass ein Lieblingskind nicht immer ein Lieblingskind bleiben muss. So spielt es grundsätzlich auch keine wesentliche Rolle, ob es sich um ein erst- oder zweitgeborenes Kind handelt. Jedes Kind kann der Liebling sein.

Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass die Kleinsten oft mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit beanspruchen. So kommt es zur unvermeidbaren Ungleichbehandlung der Geschwister. Das kann für ein erstgeborenes Kind sehr schwer sein. Psychologen sprechen vom “Entthronungstrauma” der Erstgeborenen.

Mangelnde Liebe und ihre Folgen

Was aber macht es mit einem Kind, wenn die Eltern Bruder oder Schwester tatsächlich spürbar bevorzugen? Grundsätzlich führt mangelnde Zuwendung zu Problemen in der Eltern-Kind-Bindung. Die Folgen wirken sich auf das Miteinander innerhalb der Familie aus, sowie auf das betreffende Kind selbst. Ein Mangel an Liebe und Zuwendung zeigt sich besonders in drei Punkten:

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© Allan Mas / Pexels – Mangelnde Zuwendung führt zu Problemen

1. Unsicherheit

Starke Gefühle von Unsicherheit sind die Folge mangelnder Zuneigung. Die Kinder erfahren keine sichere Bindung und es entsteht kein ausreichendes Selbstbild. Mangelndes Konfliktlösungspotenzial und sozialer Rückzug gehen oft einher. Während die Kinder schwierigen Situationen oft lieber aus dem Weg gehen, neigen sie andererseits häufig dazu, Konflikte zu provozieren. Sie möchten auf sich aufmerksam machen.

2. Mangel an emotionaler Kontrolle

Dieses wichtige Anzeichen tritt sehr oft bei Kindern mit emotionalen Verletzungen auf. Während ein sicher gebundenes, emotional gesundes Kind schrittweise lernt, seine Gefühle zu beherrschen, hat ein emotional vernachlässigtes Kind, eher Probleme damit, Emotionen zuzuordnen und soziale Regeln anzuerkennen. Das Kind versteht nicht, wie es sich im zwischenmenschlichen Umgang richtig verhält.

Die Heranwachsenden sind oft sehr verletzlich, zeigen es aber nicht offen. Generell haben Jungen dieses Problem öfter als Mädchen, denn Jungen werden häufig als “starke Charaktere” erzogen. Sie sollen ihre Gefühle unterdrücken. Wenn du feststellst, dass dein Sohn unter diesem Dogma leidet, versuche die Kommunikation mit ihm zu verbessern und lerne seine Bedürfnisse zu verstehen.

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3. Isolation und Konflikt

Eine weitere Folge mangelnder Zuneigung zeigt sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen eines Kindes. Der Mangel an Empathie und sozialen Fähigkeiten kann im Miteinander schnell zum Problem werden. Betroffene entwickeln eine verminderte Frustrationstoleranz und ziehen sich infolge der Frustration häufig zurück.

Im Erwachsenenalter zeigen Betroffene oftmals wenig Respekt für die Gefühlswelt anderer Menschen. Sie selbst gehen entweder schwer Beziehungen ein oder haben die Tendenz, sich auf schädliche Beziehungsmuster einzulassen.

Werden die Beziehungen deines Kindes durch Konflikte dominiert oder hat dein Kind Schwierigkeiten, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen? So solltest du genauer hinsehen und prüfen, ob sein Sozialverhalten altersgemäß ist.

Fairness als oberste Regel

Sollte das Thema “Lieblingskind” somit ein Tabu sein?

Ja und Nein: Wenn es ein Lieblingskind gibt, ist es in erster Linie wichtig, dass die Eltern sich darüber bewusst werden. Sie sollten ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern reflektieren und dabei ganz bewusst zwischen Bevorzugung und Ungleichbehandlung unterscheiden. Während eine Bevorzugung nicht stattfinden sollte, ist eine Ungleichbehandlung meist nicht vermeidbar.

Es ist schwierig, Kinder stets gleich zu behandeln. Eine liebevolle und faire Behandlung schafft jedoch eine gute Basis. Hinzu kommt der Dialog: Im Alltag ist es wichtig, Kindern die Gründe für ungleiche Behandlung zu erklären, denn Ungleichheit bedeutet nicht zwingend Bevorzugung.

Ein Beispiel: Wenn ein 2-jähriges Kind noch die Schuhe angezogen bekommt und der 6-Jährige nicht, kann das vom 6-Jährigen zunächst als Ungerechtigkeit verstanden werden. Doch im offenen Gespräch lassen sich solche Sorgen ausräumen: Je besser ein Kind eine Ungleichbehandlung in derartigen Situationen versteht, umso besser kann es diese auch einordnen und als “fair” akzeptieren. Eine offene Gesprächskultur zeigt deinem Kind zudem, dass es sich mit allen Problemen an dich wenden kann.

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© Allan Mas / Pexels – Wenn Eltern ein Lieblingskind haben…

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