Ein Gastbeitrag von Zweifachmama Christine (36)*
“Powerfrau” nennen mich einige meiner Freundinnen. Job und Alltag gut im Griff, der Haushalt halbwegs in Schuss und die Kinder entwickeln sich prächtig…
Gelegentlich schaffe ich es sogar, mich etwas aufzubrezeln und in Gesellschaften an der Seite meines Manns begehrliche Blicke anderer Männer zu wecken. Mein Leben ist eigentlich immer in Bewegung. Ich vergleiche es oft mit einer permanenten Jonglierübung. Unaufhaltsam müssen dutzende Bälle in der Luft gehalten werden. Neben den banalen Notwendigkeiten des Alltags, neben Job und Familie ergeben sich ständig neue, ungeplante Ereignisse. Sie fressen Aufmerksamkeit und Zeit. Doch dadurch darf das Fundament nicht ins Wanken geraten.
Ich muss oft vieles zeitgleich im Gedächtnis behalten. Ohne mein Smartphone wäre ich verloren. Mein organisch wachsender Einkaufszettel und die penibel geführte Kalenderapp mit Erinnerungsfunktion helfen. Aber häufig kann ich meine – ich nenne es mal geistige Spannung – nicht reduzieren. Der ganze Kram bleibt in meinen Gedanken, schwirrt weiter in meinem Kopf herum. Und wenn dann noch viel Unerwartetes hinzu kommt, gerät meine Balance schon mal ins Ungleichgewicht. Das ist der Zeitpunkt, wenn mein Mental Load an Grenzen stößt. Gerade in den letzten Monaten während Corona wurden diese Grenzen nahezu täglich aufs Neue ausgereizt. Haushalt, Kinder und Homeoffice – alles zugleich. Irgendwann war es einfach zu viel…
Verlasse ich mich auf andere, fühle ich mich oft verlassen
Meine Mutter gab mir häufig den Rat, alles Wichtige selber zu erledigen. Nur dann könne ich sicher sein, dass es auch erledigt ist. Sie hatte als nicht berufstätige Frau allerdings einen Mental Load zu bewerkstelligen, der sich auf Familie und Haushalt beschränkte. Ich arbeite als freie Grafikerin, was mein Mental Load Konto zusätzlich füllt. Ich jongliere Aufträge und Kundentermine so, dass ich auf dem Weg noch meine Kinder zu ihren Freizeit- oder Pflichtaktivitäten bringen oder abholen kann.
Meine kinderfreien Zeitfenster – die während der Corona Shutsdowns nahezu nie gegeben waren – versuche ich gewöhnlich mit bestmöglicher Effizienz zur Abarbeitung anstehender Deadlines zu nutzen. Andere Dinge müssen dann warten. Doch schon ein banaler Anruf aus der Kita oder Schule genügt. Das Kind ist hingefallen oder krank und mein Kundentermin beginnt zu wackeln. Mein Vater fährt seit einem Schlaganfall kein Auto mehr, meine Mutter hat nie einen Führerschein besessen. Mein Mann ist tagsüber bei der Arbeit nahezu immer “unabkömmlich”.
Beutetiere am Horizont und die Milch im Kühlschrank
Er sieht es nicht, er sieht es einfach nicht. Ich weiß nicht, ob oder wie ich es ihm vorwerfen kann. Er ist engagiert und liebevoll, gibt sich fast immer Mühe – aber dass die Milch alle ist, morgen Tims Elternabend ist und dass Frido schon drei Tage die gleiche verdreckte Hose trägt, bekommt er nicht mit. Wenn ich ihn am Handy mit Arbeitskollegen sprechen höre, denke ich manchmal, er hat wirklich einen guten Überblick in den Sachen, die er da tut. Warum nur ist das Zuhause so anders?
Bei der Arbeit werden akribisch Großprojekte abgewickelt, bei denen jede Eventualität Beachtung findet. Abends und am Wochenende vergisst er die banalsten Dinge und wirkt oft nur teilweise anwesend. Mit einem Blick zum Horizont kommt mir immer wieder dieses archaische Bild des Jägers und der Hüterin des Feuers in den Sinn. Vielleicht ist da ja wirklich etwas dran, dass wir sozusagen genetisch vorprogrammiert sind, unterschiedliche Lebensbereiche nur selektiv wahrzunehmen. Doch ich will es einfach nicht so hinnehmen!
Vertraust du mir?
Unser Familienleben verläuft im Grunde recht harmonisch. Meistens. Ich kenne eine Menge Frauen, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie mit der Mental Load deutlich mehr zu schaffen haben. Oft schon haben wir schon darüber gesprochen, wie wir Aufgaben in der Familie gerechter verteilen. Abgesehen vom Faktor Zeit wird der Mental Load extrem vom Nach- und Vordenken vieler Optionen und Situationen bestimmt. Da reicht die bloße Verteilung von Aufgaben nicht aus. Das mentale und psychische Verhalten untergräbt jede noch so gut gedachte Aufteilung.
Bei mir stellte sich vor allem heraus, dass ich teilweise nur sehr schwer loslassen konnte, wenn ein Aufgabengebiet nicht mehr in meiner Zuständigkeit lag. Zeitweise dachten mein Mann und ich quasi doppelt. Andersherum hatte mein Mann trotz Verantwortungsübernahme immer den Ausweg, den Plan B, nämlich mich im Kopf. Wir näherten uns dem Management von Mental Load über den Faktor Vertrauen. Wenn eine Entscheidung anstand, fragte der jeweils andere ohne gemeinsame Analyse “Vertraust du mir?”. Mit diesem bald geflügelten Wort übertrugen wir die Arbeitsverteilung Stück für Stück – nicht nur formal, sondern auch gedanklich.
Freiraum und Toleranz für andere Wege
Im Geheimen tobte in mir ein häufiger Konflikt zwischen meinem natürlichen Gluckengefühl und dem Akzeptieren, dass Männer und Väter an viele Dinge anders herangehen. Ich lernte Schritt für Schritt, auch andere Lösungswege und Organisationsansätze als meine eigenen wertzuschätzen. Ein klarer Begleiter war dabei das Training zu mehr Gelassenheit. Ich schaute mir an, was passierte, und versuchte jeweils auf das Wesentliche zu reduzieren. Schulaufgaben mussten im Endeffekt lediglich gemacht sein, wann und auf welchem Weg war zweitrangig. Sauberkeit im Haushalt musste auf einem gemeinsam tolerierbaren Level bleiben. Ich eignete mir an, zwischen Schmutz und Unordnung zu unterscheiden. Mein Mental Load entlastete sich umgekehrt proportional zu meiner wachsenden Akzeptanz “unordentlicher” Umstände. Zusätzlich entwickelte ich gedanklichen Freiraum durch eine Art Unterhaltungseffekt, den ich in den Aktivitäten und Vorkommnissen in meiner Familie zu sehen begann. Mein perfektionistisches Streben löste sich immer mehr von Automatismen und zwanghaftem Multitasking ab.
“Ich eignete mir an, zwischen Schmutz und Unordnung zu unterscheiden.”
Korrekturen am gemeinsamen Weg
Natürlich haben wir uns nicht zusammengesetzt, alles ausgetüftelt und der Mental Load aller Beteiligten war von einem Tag auf den anderen ausbalanciert. So wie das Wachstum der Kinder ist auch die Entwicklung und der Fortgang des Mental Load dynamischen Änderungen und wechselnden Herausforderungen unterworfen. Wir lösten das mit einer Art Familienkonferenz. Bei so lustigen wie wohlwollenden Zusammenkünften etwa einmal im Monat schenkten wir uns allen gegenseitig eine Kleinigkeit und vor allem ungeteilte Aufmerksamkeit. Jeder berichtete aus seiner Perspektive, was gefiel und was nicht so gut lief.
Wir erreichten Verbesserungen durch rein organisatorische Umstellungen. Bei einigen Themen erkannten wir, dass die Zuständigkeiten “nicht optimal” verteilt waren. So übernahm mein Mann morgens wieder den Gang zum Bäcker und ich übernahm die Kleidungsbeschaffung für die Kinder wieder vollumfänglich, weil sie meinen Geschmack einfach bevorzugten. In anderen alltäglichen Punkten wie dem Einkaufen und der Essenszubereitung ersannen wir uns einen flexibleren Weg. Mit dem Ziel, etwa gleich viel Arbeitsaufwand einzubringen, koppelten wir die Erledigung an äußere Umstände wie berufliche Situation, aktuelle Gegebenheiten und Sonderwünsche der Kinder. In einem etwa wöchentlichen Briefing stellten wir den groben Richtplan für die kommenden Tage auf. Wenn etwas schiefging, reichte der familiäre Spott aus, diesen Fehler kein zweites Mal zu begehen.
*) Namen wurden von der Redaktion geändert
Buchtipps zum Thema
Mehr interessante Infos zu Mental Load und zum neu erschienenen Buchtitel “Raus aus der Mental Load Falle” lest ihr übrigens auf den Webseite dasnuf.de der Spiegel-Bestseller-Autorin Patricia Cammarata. Auch der zweite Titel von Bloggerin und Mental Load Expertin Laura Fröhlich, heuteistmusik.de ist eine Neuerscheinung. Mehr Infos dazu inklusive einer Leseprobe findet ihr hier.
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