Emotionale Achterbahn im Wochenbett – Gespräch mit einer Psychotherapeutin

Babyblues oder Wochenbettdepression?
© photographee.eu / Depositphotos – Babyblues oder Wochenbettdepression?

“Ich hätte vor Freude weinen sollen, aber in mir war nur Leere.” – Diese Worte einer jungen Mutter verdeutlichen, dass die Wochenbettzeit nicht immer rosarot ist. Rund 15 Prozent aller frischgebackenen Mütter schwelgen nach der Geburt nicht im vollkommenen Babyglück. Und das ist auch heute noch ein Tabu.

Viele Frauen schämen sich, auszusprechen, wie es um ihre emotionale Lage bestellt ist. Die Schwelle vom Babyblues zur Wochenbettdepression ist dabei nicht immer klar erkennbar. Lea Beck-Hiestermann ist Psychotherapeutin. Ihr Fachgebiet: Schwangerschaft, schwierige Geburtserfahrungen und postpartale Depressionen. Wir sprechen mit Lea über das Wochenbett und seine emotionalen Tücken.

Ein Interview mit Lea Beck-Hiestermann @ psyche.und.geburt

Lea Beck-Hiestermann

Über mich

Ich bin Lea Beck-Hiestermann, Psychotherapeutin und 3-fach Mama. Ich forsche zu postpartalen psychischen Erkrankungen und dem Thema Gewalt unter der Geburt. In meiner Praxis mit Kassenzulassung im Berliner Speckgürtel behandle ich im Schwerpunkt Mütter mit psychischen Schwierigkeiten nach der Geburt. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass es bezüglich der Psyche, Geburt und Wochenbett große Wissenslücken gibt.

Windelprinz: Liebe Lea, was treibt dich an und was zeichnet deine Arbeit als Psychotherapeutin im Umfeld der Schwangerschaft und Geburt aus? Du hast vor Kurzem auch dein Buch veröffentlicht?
Lea: Oft ist den Mamas nicht bewusst, wie sehr Körper und Geist zusammenhängen – aber auch, dass Selbstfürsorge kein Luxusgut, sondern essenziell ist. Daher entstand die Idee, auf Instagram darüber aufzuklären – auf meinem Kanal @psyche.und.geburt. Und dann lag es nahe, all das Wissen aus Forschung, Praxis und meinem Kanal zu bündeln, zu ergänzen und so aufzubereiten, dass es Müttern umfassend und schnell zur Verfügung steht. So wurde mein neues Buch “Sorg gut für dich im Wochenbett” geboren.

Sorg gut für dich im Wochenbett
© Verlagsgruppe Beltz – Sorg gut für dich im Wochenbett

Windelprinz: Welche Tipps gibst du frischgebackenen Müttern, um die körperlichen und emotionalen Veränderungen im Wochenbett gut zu bewältigen?
Lea: Es ist wichtig, dass du dich in dieser intensiven Phase gut umsorgst. Gib deinem Körper die Zeit, die er braucht, um zu heilen, und höre auf seine Signale. Ruhe ist entscheidend, vor allem in den ersten Tagen. Aber genauso wichtig ist es, auf deine psychische Gesundheit zu achten. Emotionale Unterstützung durch deinen Partner, deine Familie oder Freunde ist dabei essenziell. Scheue dich nicht, um Hilfe zu bitten, sei es bei der Hausarbeit oder bei der Betreuung deines Babys.

Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Es ist DEIN Wochenbett, du erlebst es nur ein bis wenige Male in deinem Leben. Entsprechend darfst du dich frei machen von den Erwartungen anderer und auf deine eigenen Bedürfnisse hören.

Windelprinz: Lea, wie hast du selbst die Zeit deines Wochenbetts erlebt?
Lea: Meine eigene Zeit im Wochenbett war ebenfalls eine emotionale Achterbahn. Ich habe so viel Freude und „wow, das ist ja wirklich mein Kind“-Momente erlebt – aber natürlich auch große Unsicherheit. Besonders beim ersten Kind habe ich oft Druck gespürt, den Erwartungen gerecht zu werden – sowohl meinen eigenen als auch denen anderer. Es war nicht nur die Herausforderung, eine gute Mutter zu sein, sondern auch banale Dinge wie den Haushalt “mal eben” erledigen zu müssen.

Im Nachhinein habe ich es ein wenig bereut, diesen Druck zugelassen zu haben. Beim zweiten und dritten Kind war das Wochenbett eine andere Erfahrung. Ich habe aus meinen vorherigen Erlebnissen gelernt und beschlossen, mir mehr Ruhe zu gönnen. So blieb ich einen Tag länger im Krankenhaus, um etwas Kennenlernzeit nur für mich und Baby 2 bzw. Baby 3 zu haben. Und ich legte klar fest, wen ich wann sehen wollte – aber auch, wen nicht. Diese Entscheidungen waren goldrichtig. Die zusätzliche Ruhe und die ungestörte Zeit halfen mir, eine stärkere Bindung zu meinen Babys aufzubauen und mich emotional besser auf die Herausforderungen des Wochenbetts vorzubereiten.

Windelprinz: Was sind die häufigsten Sorgen und Ängste von Müttern im Wochenbett, und wie können sie damit umgehen?
Lea: Viele Mütter machen sich Sorgen über ihre Kompetenz als Mutter und haben Angst, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Einige haben auch Angst vor gesundheitlichen Komplikationen bei sich selbst oder dem Baby. Ich finde wichtig, sich bewusst zu machen, dass diese Sorgen normal sind und viele Frauen sie teilen. Nur leider spricht kaum jemand darüber. Dabei kann ein „sich anvertrauen“ helfen, die Ängste zu relativieren und Lösungen zu finden. Wenn die Ängste jedoch überhandnehmen und das tägliche Leben beeinträchtigen, solltest du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Windelprinz: Frisch gebackene Mama – doch die Freude bleibt aus! Leider auch heute noch ein Tabu. Was rätst du den betroffenen Müttern? Wo liegt die Schwelle zur Wochenbettdepression und wann ist Hilfe notwendig?
Lea: Wenn die Freude ausbleibt und stattdessen anhaltende Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle oder sogar Gedanken an Selbstverletzung auftreten, kann es sich um eine Wochenbettdepression handeln. Diese geht über den normalen “Babyblues” hinaus, der in der Regel innerhalb von zwei Wochen nach der Geburt von selbst verschwindet.

Wenn du bei dir bemerkst, dass dieses Tief länger andauert, solltest du dich jemandem anvertrauen. Einer Person, die dir nahesteht oder Fachpersonal wie Hebamme, Therapeutin oder Ärztin. Du kannst auch für einen ersten Eindruck den EPDS-Fragebogen ausfüllen, den du im Internet kostenlos findest. Und ganz wichtig: bitte verabschiede dich ganz schnell von dem Gedanken, dass du etwas falsch gemacht hast oder schuld bist. Sich Hilfe zu suchen ist eine wahnsinnig starke Entscheidung und die frühzeitige Erkennung und Behandlung einer Wochenbettdepression ist entscheidend für dein Wohlbefinden und das deines Babys.

Windelprinz: Wie wichtig ist die Unterstützung durch Partner, Familie und Freunde im Wochenbett?
Lea: Die Unterstützung durch deinen Partner, deine Familie und Freunde ist von unschätzbarem Wert im Wochenbett. Sie kann dir helfen, den Alltag zu bewältigen und ermöglicht es dir, dich auf deine Erholung und dein Baby zu konzentrieren. Ein unterstützendes Umfeld trägt dazu bei, Stress zu reduzieren und aber auch das manchmal auftretende Gefühl von Identitätsverlust oder Einsamkeit zu überwinden. Ermutige deinen Partner, aktiv mitzuwirken und konkrete Aufgaben zu übernehmen, sei es im Haushalt oder bei der Betreuung des Babys. Auch Freunde und Familie können durch praktische Hilfe und emotionale Unterstützung eine große Entlastung bieten. Scheue dich nicht, diese auch aktiv einzufordern.

Windelprinz: Wie kann man trotz der vielen Aufgaben und Herausforderungen im Wochenbett die Zeit mit dem Baby genießen? Hast du einen abschließenden Tipp für unsere Leserinnen?
Lea: Denk immer daran: es ist dein Wochenbett. Entschiede, was gut für dich und dein Baby ist. Das bedeutet auch, sich von Erwartungen frei machen zu dürfen und selbst festzulegen, was für dich und dein Baby am wichtigsten ist. Überlege dir am besten vorher, inwiefern du welche Unterstützung brauchst, und kommuniziere diese Wünsche konkret.

Gib deiner Psyche und deinem Körper Zeit, zu heilen und sich gut in die neue Rolle einzufinden. Wichtig ist auch, sich Pausen zu gönnen und Hilfe anzunehmen, um nicht in der Erschöpfung zu versinken. Indem du gut für dich selbst sorgst, schaffst du eine Basis, um die Zeit mit deinem Baby in vollen Zügen zu genießen.

Fazit

Der Weg vom Babyblues zur Wochenbettdepression ist fließend. Umso wichtiger ist es, kein Tabu daraus zu machen und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Lea Beck-Hiestermann hat sich als Psychotherapeutin und Mutter auf postpartale psychische Erkrankungen spezialisiert. Mit ihrem neuen Buch “Sorg gut für dich im Wochenbett” erreicht sie viele Frauen genau an diesem äußert sensiblen Punkt.

© Verlagsgruppe Beltz - Sorg gut für dich im Wochenbett

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